Mi Tierra – meine Erde

So nennen die Indios in Peru die Gegend, in der sie geboren sind.

Ich bin in Arequipa, in der südlichen Wüste Perus, zur Welt gekommen und aufgewachsen. Die schönste Kindheit, die ich mir vorstellen kann, verbrachte ich dort. Als ich 15 war, starb mein Vater und wir zogen nach Österreich.

Über 30 Jahre später besuchte ich „mi tierra“. Mit meinen 3 Brüdern und unserer 80-jährigen Mutter zelteten wir wieder an den geliebten Plätzen auf den entlegenen Felsklippen des Pazifiks, dort im Wind und Sand von Paracas, der trockensten Wüste der Erde.

Um uns her: Wanderdünen im ewigen Sand und vor uns: das endlos blaue, gewaltige Meer. Unter uns: Seehunde und Delfine, die geschmeidig in den Wellen spielen, über uns: Flamingos und Pelikane, die segeln, als hätten sie den Flug erfunden. Selbstverständlich wie eh und je, als wäre keine Zeit vergangen, als wäre ich indes nicht erwachsen geworden.

 Lange habe ich über diese Reise nachgedacht:
An solchen Orten findet der Mensch sein Maß:
Er ist klein und die Natur groß,
auf seine Worte antwortet die Weite mit souveräner Stille.
Hier herrscht er nicht,
er besucht – in Demut.

Wenn ich den wilden Tieren zuschaue in ihrer Welt,
offenbart ihre Weite und Freiheit das eigene Gefängnis:
Die Erde wird durch Asphalt, Zäune und Besitz
mit Füßen getreten.

Ich schäme mich und schweige,
weil andere Stimmen miteinander reden:
Brandung und Wind, Flossen und Flügel:
mi agua, mi aire.

Hochachtung und Respekt bestimmen das kurze Miteinander,
Tränen sind die Sprache,
die dieser Gegend angemessen Ausdruck verleihen.
Zu stammeln, was schon fast vergessen –
was einem diese eckige Welt entrissen:

Das war einmal mein Land,
kurze Zeit war ich ein Teil von ihm.
Es waren die glücklichsten Momente:
dem Ursprung so nahe zu sein.
Wo der trockene Wind mir die Haare rauft,
wo die Spuren meiner Füße nicht die Ferne bedeuten,
sondern nach Hause führen;
wo der Sand auf dem ich liege, mich umarmt
und die Erde aus der ich genommen bin,
in mir flüstert: mi tierra.

Meine Erde